philipp harnoncourt
zeiger7
 
 

Eingeschränkte Fotogaleriefunktion, da JavaScript nicht unterstützt (aktiviert ist) wird !

 

PRESSE
--------------------------------------------------------------------------zurück zum Überblick

Barbe-Bleue von Jacques Offenbach, styriarte 2013


Wiener Zeitung (Reinhard Kriechbaum), 25. 6.2013,

Harnoncourt beschert der Styriarte einen fulminanten Auftakt
Elisabeth Kulman, die muss einem passieren als Blaubart! Fünf Ehefrauen hat er sich durch Mord vom Hals geschafft, und eigentlich schielt der charmante Schurke hinter der coolen Sonnenbrille, eben erst verheiratet mit Boulotte, bereits nach der siebenten…

Da steckt also der lüsterne Knabe mit aufgeklebtem Rauschebart und verführerisch weichem Tenor im Kostüm eines Freischärlers. Er degradiert den König Bobèche zum Hampelmann, der sein Mini-Krönchen trägt wie eine Narrenkappe. Dieser Bobeche hat freilich auch fünf Menschen auf dem Kerbholz.

…Im Keller zwischen den Särgen der Vorgängerinnen muss Herzdame Nummer sechs, Boulotte alias Elisabeth Kulman, eine unerschrockene Männer-Eroberin mit “stoasteirischem” Slang, kurzzeitig sogar wirklich glauben, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Feine Brechungen der Stimmung – und gleich wieder pointierte Ironie.

Das Bühnenbild hat der Regisseur Philipp Harnoncourt selbst designt. Nichts als eine Holzwand mit fünf hohen, schmalen Durchlässen. Darauf kommen Projektionen und teils bewegte Bilder, die anmuten wie Collagen.

Kulman fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle der Aufmischerin in einer dekadenten Männerwelt. Herrlich jedenfalls, wie sie über die Bühne fegt und sängerisch gleichwohl so präzis und differenziert bleibt: vokal-instrumentale Kammermusik vom Feinsten, im szenischen Sauseschritt. Bestens gecastet das sängerische Umfeld: Der extrem fließende Tenor von Johannes Chum für die Titelrolle ist ein pikanter Widerspruch zum vermeintlichen Rollenbild eines Don Juan, der über Ehefrauenleichen geht. Es wird französisch gesungen, die Dialoge sind deutsch. Pointierte Charaktere: Sébastian Soulès (Popolani), Thomas E. Bauer (Oscar), Elisabeth von Magnus (Reine Clémentine). Sophie Marin-Degor ist die Schäferin Fleurette, die sich – als Königstochter erkannt und an den Hof zurückgeholt – postwendend in eine herrschsüchtige junge Dame verwandelt. Ihr Gespons Saphir (Markus Schäfer) wird dereinst Mordgelüste entwickeln wie Blaubart.


Kleine Zeitung (Ernst Naredi-Rainer), 23. 6. 2013,

Charmanter Vielfachwitwer

Die Balance zwischen amüsanter Unterhaltung und beißender Kritik stimmte. Jubel erntete deshalb bei der “styriarte” Jacques Offenbachs “Ritter Blaubart” unter Nikolaus Harnoncourt.

Auch vor der eigenen Familie macht der Regisseur nicht Halt. Zum Handkuss-Zeremoniell beim Monarchen lässt er “Nikolaus d’Harnoncourt de la Fontaine Unverzagt” ankündigen, worauf König Bobèche kommentiert: “Steirischer Landadel”.

Der Dirigent greift auch in seiner vierten Offenbach-Produktion auf das Original zurück und setzt mit dem fabelhaften Chamber Orchestra of Europe den Komponisten wieder ins Recht: Trockener Witz anstelle des süffigen Operettenklangs. Statt plüscherner Opulenz und Mischklang bietet er mit einer kleinen Streichergruppe und prägnanten Bläsern trennscharfen Spaltklang.

Den sechsfachen Mörder Blaubart singt Johannes Chum mit so unwiderstehlicher Nonchalance und Eleganz, dass er Sympathien für den Vielfachwitwer sammelt. Sein lyrischer Tenor besitzt die Beweglichkeit für die Koloraturen und versteht sich blendend auf das Vexierspiel zwischen Belcanto und dessen Parodie. Zur Räson gebracht wird er von der resoluten Bäuerin Boulotte, die Elisabeth Kulman mit facettenreicher Vokalpalette ausstattet. Für die im Text angesprochene Rubens-Figur mit gepolsterten Hüften versehen, lebt sie mit einem steirisch angehauchten Kunstdialekt in den deutschen Dialogen ihr komödiantisches Spieltemperament aus.

Sophie Marin-Degor als verliebte Prinzessin Hermia, Markus Schäfer als ihr schwärmerischer Galan, Elisabeth von Magnus und Cornel Frey als köstlich karikiertes Königspaar und Sébastien Soulès und Thomas E. Bauer als mörderische Handlanger komplettieren das stimmige Ensemble, das der Arnold Schoenberg Chor adäquat ergänzt.

Philipp Harnoncourt, in dessen deutscher Dialogfassung auch die Unschuldsvermutung vorkommt, wahrt in seiner Produktion, deren Optik wesentlich von Max Kaufmanns Animationen auf der Hinterwand der Bühne profitiert, geschickt die Balance zwischen witzigem Klamauk, amüsanter Unterhaltung und bissiger Satire.


Kronenzeitung (Martin Gasser), 26. 6. 2013

Offenbachs Operette „Barbe-Bleue“ gegen den Strich gebürstet

Zum Ereignis wird die “styriarte”-Großproduktion in der List-Halle. Nikolaus Harnoncourt erweitert das Gefühlsspektrum von Jacques Offenbachs “Barbe-Bleue” und birgt aus der Mechanik einer zynischen Turbo-Operette ein tiefschürfendes Musikdrama im Kleid der schwarzen Komödie. Ensemble, Chor und Orchester schlagen sich in der inszenatorischen Skizze fulminant.

Harnoncourt sucht hinter den Posen der Figuren das Gefühl – wenn Blaubart Krokodilstränen über die verblichene Ehefrau Nr. 6 vergießt, wirken die echt. Schon das vermeintlich tödliche Duett zwischen Boulotte und Blaubart ist blutiger Ernst.

Elisabeth Kulman reißt als Boulotte den Abend darstellerisch an sich. Mit noblem, gerundeten Mezzo im Dienste der Komödie und mit breiten steirischem Dialekt in den Dialogen. Tenor Johannes Chum erweist sich als beinahe idealer Ritter Blaubart: mit beweglicher Stimme, höhensicher und dramatischen Reserven. Chum trifft die falsche Süße des vermeintlichen Frauenmörders. Aus dem durchwegs ausgezeichneten Ensemble ragen Sebastién Soulès als Popolani und Markus Schäfers Saphir noch heraus. Unvergleichlich: der Schönberg-Chor.

Die ursprünglich als halbszenisch angekündigte Aufführung ist die Skizze einer Inszenierung, die großartig geworden wäre. Philipp Harnoncourt und den Interpreten sind auch in der äußerst knappen Probenzeit eine Menge Details eingefallen, und die originellen animierten Bilder von Max Kaufmann illustrieren die zwischen Grusel und Satire changierende Atmosphäre von “Ritter Blaubart” punktgenau.


Kurier (Helmut C. Mayer), 23. 6. 2013

Eine spritzig witzige, bissige Satire mit vielen Glanzlichtern
Bejubelter “Ritter Blaubart” von Offenbach unter Harnoncourt zur Eröffnung der styriarte.

“Ich bin Blaubart, hollero! Nie war ein Witwer so lustig und froh“: Schon beim Auftrittslied freut sich der Titelheld auf seine zukünftige sechste Frau, nachdem er alle bisherigen um die Ecke bringen ließ. Aus der ursprünglich grausamen Story haben Jacques Offenbach und das Autorenduo Meilhac/Halévy mit „Barbe-Bleue“ eine Opéra-bouffe (1866) gemacht, in der virtuos zwischen lieblichen, grotesken und erotischen Szenen jongliert wird. Und was passt besser zum Motto der diesjährigen styriarte, „Gefährliche Liebschaften“, als diese beißende Satire, in der er den Machthabern den Spiegel vorhält.

Wörtlich nimmt Philipp Harnoncourt, der für die Bühne und die semiszenische Inszenierung – eine ziemliche Untertreibung für die überbordende Vitalität auf der Bühne der List-Halle – verantwortlich zeichnet, das Auftrittslied und wartet mit einer Fülle von aktualisierten Gags und Ideen in den überzeichneten Kostümen Elisabeth Ahsefs auf. Dabei findet er das richtige Maß zwischen unterhaltsamer Blödelei und böser Satire. Eine Holzwand mit länglichen Öffnungen genügt als Kulisse, die mit komischen an Comics erinnernde Video-Projektionen wie Häusern, Landschaften, Palast, Kerker, örtlich näher definiert wird.

Spaß- und spielfreudig zeigt sich das gesamte, in einem derben französischen Dialekt singende Ensemble: Elisabeth Kulman, sonst eher im hochdramatischen Fach beschäftigt, ist eine kraftvolle, flexible, resche Boulotte, die üblicherweise von einem Sopran gesungen wird, und mit einem burgenländisch-steirischen Dialektgemisch so richtig blödeln darf. Köstlich ist ihre Kussorgie mit den Bühnenmännern, die sie ins Publikum ausweitet. Johannes Chum, wie Che Guevara mit Rauschebart und Barett ausstaffiert, singt den Titelhelden stimmgewaltig mit schön geführtem, lyrischen Tenor. Umwerfend komisch Cornel Frey als König Bobèche mit seinen Trippelschritten und seiner Gestik. Sophie Marin-Degor ist eine leichtstimmige Fleurette/Hermia, Markus Schäfer ein strahlender Prinz Saphir. Sébastien Soulés ist ein urwitziger Popolani, genannt „Popo“. Souverän wie immer: der Arnold Schoenberg Chor.

Der stets befeuernde Maestro, unbestritten das Zugpferd der styriarte, kann aus dem ganz famosen Chamber Orchestra of Europe eine enorme Portion Spritzigkeit, Witz, zugespitzte Akzente sowie eine reiche, teils extrem dynamische Palette herausholen. Jubel!


Der Standard (Ljubiša Tošic), 24.6. 2013

Operettensärge voller Leben
Premiere von Offenbachs “Ritter Blaubart” bei der Styriarte in der List-Halle: Nikolaus Harnoncourt und das Chamber Orchestra of Europe verleihen der Musik Tiefe. Der szenische Rahmen von Philipp Harnoncourt erfreut sich an der Überdrehung von Klischees.

Charmegeladen hat sich die Satireenergie dieser operettenhaften Offenbach-Schöpfung in die Jetztzeit gerettet: Den schaurigen Mythos, also Frauenbeseitiger Blaubart, lässt Offenbach als Aufschneider antanzen, dessen Mordbefehle (seine fünf Gattinnen betreffend) nicht ausgeführt werden. Und die Königsfamilie wird in Ritter Blaubart ” angeführt” von einem – in Hinblick auf seine politische Gestaltungskraft – hilflosen Intelligenzasketen (witzig: Cornel Frey), der Kaiser Napoleon III nachempfunden ist.

Hier verpfändet dieser König Bobèche seinen Fleiß an kriegsgeile Fantasien (welche die Musik auch verdeutlicht) wie Eifersüchteleien seine Gattin Clementine (kapriziös Elisabeth von Magnus) betreffend. Erspäht Bobèche einen potenziellen Nebenbuhler, ergeht auch schon der Befehl zu dessen Beseitigung. Wie bei Blaubart geht es um die Zahl fünf: Genau so viele Charmeure sollen das Zeitliche segnen. Wie beim notorischen Eheschließer Blaubart, dessen Damen von Popolani (Sébastien Soulès) nicht hinweggerafft werden, erfreuen sich auch die fünf Kavaliere im Finale bester Gesundheit.

Dass am Stückende zwischen den lebenden Opfern fünf Ehen geschlossen werden und als Eheideenstifterin just Boulotte fungiert, ist eine weitere satirische Frechheit: Die derbe Bauerndame mit dem ausufernden Dialekt scheint Offenbachs schönster Pfeil in Richtung Pariser Gesellschaftszustände. Er lässt Boulotte großzügig überallhin (hier auch ins Publikum) Küsschen verteilen. Er lässt sie als Naturereignis höfische Tabus zertrampeln. Und nachdem Boulotte ihre angeblich toten fünf Vorgängerinnen (als Gattinnen von Blaubart) aus deren Särgen befreit hat, zähmt sie auch Tenor Blaubart (klangschön Johannes Chum), der in dieser szenischen Spielerei von Regisseur Philippe Harnoncourt als Mix aus Che Guevara und Pantoffelheld in spe erscheint.

Für grelle Überdrehungen ist also ausreichend Stoff parat. Und die Regie, die sich personell vor einer mit fünf Öffnungen versehenen Mauer gruppiert, nützt ihn auch. Ein bisschen deftig zwar. Aber: Im Verbund mit den rätselhaft-vielfältigen filmischen Animationen, welche sich auf der Mauer ausbreiten (Max Kaufmann, Eva Grün), ergibt das einen witzigen szenischen Rahmen.

Da entpuppen sich ein Schäfer als heiß liebender Prinz (solide: Markus Schäfer als Saphir) und eine Schäferin als resolute Königstochter (markant: Sophie Marin-Degor als Fleurette/Hermia). Da üben Höflinge in einem kollektiven Rückenworkout anstrengende Unterwürfigkeitsposen. Und zu entdecken ist auch ein bisschen Travestie. Vor allem aber kommt Elisabeth Kulman (als Boulotte) die Aufgabe zu, das Schrille dieser Regie effektvoll rauszuknallen. Kulman tut dies mit sympathischer Lust am Outrieren, wobei ihr Gesang von hoher Makellosigkeit war. Hier sitzt jeder Ton, in jeder Lage verfügt Kulman über Klangfülle und Präsenz. Und wenn sie als Boulotte in Todesnähe gerät, sind auch sanftere szenische Angsttöne möglich.

Geht die Regie im Grunde in die Klischees vor allem lustvoll-grell hinein, löst Nikolaus Harnoncourt diese auf. Er nimmt zusammen mit dem formidablen Chamber Orchestra of Europe Offenbachs Ideen im Sinne von Nuance und Ausdrucksvielfalt ernst. Er sieht Melancholie unter den heiteren Bühnenmomenten schlummern und vermeidet er alles Krachend-Triviale.

Hier ist also der Beweis erbracht worden, dass in diesem Werk reichlich Subtilität vorhanden ist, deren Erweckung indes nur mit heiter-gelassener Ernsthaftigkeit betrieben werden kann.


Die Furche (Hansjörg Spies)

Sittenbild, intellektuell und erotisch heiter
Turteltauben – die vermeintlichen Schäfer Saphir und Fleurette, Kuss-Süchtige – das resche Bauernmädchen Boulotte und der vermeintliche Brautmörder Ritter Blaubart, ein verhaltensauffälliges Königspaar – Bobeche und Clementine, sowie ein verdächtiger Alchemist namens Popolani: darüber lachten nicht nur die Pariser bei der Weltausstellung 1866/67, sondern auch die Hörer von Karl Kraus und das Berliner Publikum von Walter Felsenstein… und nun auch wieder das internationale Publikum bei der Styriarte in der idealen Helmut-List-Halle.

Jacques Offenbachs ironisches Sittengemälde auf Kaiser, Kaiserin, Pariser Adel und Höflinge geht in intelligenter Neufassung von Regisseur Philipp Harnoncourt, die dem Original von Henri Meilhac und Ludovic Halévy keine Gewalt antut, aber schöne Extempores über Koalitionskanzler, Raiffeisen-Malaisen und steirische Dialekte zum Lachen erfindet, spannend, intellektuell und erotisch erheiternd über die Bühne.

Vor der listig-lustigen Optik spielen und singen erstklassige Vollprofis: die ariosen Passagen in gepflegtem Französisch, die elegant aktualisierten Dialoge auf Hochdeutsch, Schwyzerdütsch und Oststeirisch-Südburgenländisch.

… Johannes Chum als Blaubart in martialischer Fidel-Castro-Kampfausstattung setzt seinen noblen Oratorientenor saftig machomäßig und doch immer belkantistisch schmelzend ein. Da kann doch Elisabeth Kulman, Burgendlands köstlich erotisierende Mezzo-Primadonna, am Ende ihrer herzensbrecherischen Brachialtour nichts anderes tun, als in der Partie der Boulotte gurrend zu triumphieren. Heimlicher Drahtzieher der Blaubart-Morde und Bräute-Reanimation ist der wendige französische Bass Sebastién Soulès als Popolani.

Ohne budgetsprengenden Aufwand zaubern Philipp Harnoncourt als Regisseur, Max Kaufmann als Animationserfinder und Elisabeth Ahsef als Kostümbildnerin optische Bühnencoups und hochdiskutable szenische Ästhetik. Bravo!


Österreich (E. Hirschmann), 24.6. 2013

Ein Klangfeuerwerk
Ein rhytmisch blitzendes Klangfeuerwerk voll zugespitzter satirischer Schärfe mit prickelnden Polkas und Polonaisen, frivolen Cancans, gefühlvollen Walzern und pastoralen Arien.

In der schrillen, bunten, sehr komischen Inszenierung von Philipp Harnoncourt brilliert die hinreißende Mezzosopranistin Elisabeth Kulman im breitesten steirischen Dialekt als deftige, mit Jodlern und Alpenklängen auftrumpfende Boulotte…

Standing Ovations.


Kärntner Tageszeitung (Ingeborg Muchitsch), 10. 7. 2013

»Ritter Blaubart« oder wenn der Vater mit dem Sohne
Gefeierter »Ritter Blaubart« von Jacques Offenbach unter Nikolaus Harnoncourt bei der Styriarte. Sein Sohn Philipp führte Regie in dieser beißenden Satire auf einen Frauenverführer.

Vater und Sohn machten wieder einmal gemeinsame Sache und zündeten bei der Styriarte ein wahres Feuerwerk der sogenannten »leichten« Muse. Es war nicht das ersts Mal, dass Nikolaus und Philipp Harnoncourt beim steirischen Festival zusammenarbeiteten: Diesmal nahmen sie sich Jacques Offenbachs »Barbe-Bleu« vor.

Aus der ursprünglich grausamen Story vom Ehefrauen mordenden »Ritter Blaubart« haben bereits das Autorenduo Henri Meilhac und Ludovic Halévy für die Uraufführung 1866 in Paris eine Opera bouffe kreiert. In der wird virtuos zwischen lieblichen und grotesken Szenen, zwischen Pastorale und »Grand Opera« changiert und den Machthabern, seinerzeit war es Napoleon III, der Spiegel vorgehalten. Vor allem auch deshalb, weil zum Finale überraschenderweise alle tot geglaubten Frauen aus Särgen hervorkriechen; sie sind ebenso am Leben wie die Männer, die vermeintlich der Königin nachstellten und vom König Bobeche deswegen zum Tode verurteilt worden waren.

…Vater Nikolaus Harnoncourt betrieb wieder Quellenstudien bis zur Originalpartitur nach Schweden und brachte das Stuck, wie von ihm erwartet, in einer kritisch durchleuchteten Fassung zu Gehör. Der trotz seines Alters von 83 Jahren energiegeladene, temperamentvolle Maestro konnte das fabelhafte Chamber Orchestra of Europe zur gewünschten rhythmischen und melodiösen Leichtigkeit und Spritzigkeit animieren und zugespitzte Tempi und reiche Schattierungen bewirken.

Sein Charisma sprang auch auf das sehr spielfreudige und famos singende Ensemble über: Elisabeth Kulman, bereits schon im Wagner-Fach zu finden, ließ mit Ihrer flexiblen und mit der gewünschten Leichtigkeit eingesetzten Stimme staunen. Ihre derbe Boulotte durfte auch »stoasteirischen « Dialekt sprechen und richtig genussvoll blödeln. Ihre an sich sehr schlanken Kurven mussten mit Schaumstofflagen ausstaffiert werden, um auch nur annähernd einer wie im Text angeführten Rubens-Figur zu ähneln. Johannes Chum, eine Art Che Guevara mit Rauschebart und Barett, der im Herbst als Lohengrin am Grazer Opernhaus zu hören sein wird, sang den Titelhelden mit schöner Legatokultur und müheloser Höhe. Eine absolute Komiker-Klasse für sich war Cornel Frey als König Bobeche mit winzigem Krönchen am Kopf und mit winzigen Trippelschritten. Sophie Marin-Degor war eine sehr leichtstimmige Fleurette/ Hermia, Markus Schäfer ein strahlender Prinz Saphir, Sebastien Soules war ein urwitziger Popolani, genannt »Popo«, der einen schweißtreibenden Standdauerlauf absolvierte.

Gagfreude und Hetz: Sohn Philipp Harnoncourt (Bühnenbild und »semiszenische « Inszenierung) konnte in der List-Halle in Graz die Vitalität, Gagfreude und Hetz der Protagonisten kaum noch zügeln. Überbordend waren Ideen und Blödeleien zu erleben und animierten das Publikum zu vielen Lachern. Eine Holzwand mit länglichen Öffnungen genügte vollkommen als Kulisse, die mit Video-Projektionen, die an gezeichnete Comic-Strips erinnerten, die jeweiligen Örtlichkeiten aufzeigte!

Starke Beifallskundgebungen belohnten die Protagonisten für ihre exzellenten Leistungen.


Die Presse (Barbara Petsch), 23. 6. 2013

Amüsantes Gesamtkunstwerk, szenisch und musikalisch reich, grandios gespielt
… Nikolaus Harnoncourt besorgte sich eine Originalpartitur aus Stockholm. Die vermeintlich leichtgewichtige Opéra Bouffe entpuppt sich als vollwertige Oper. Der Held erinnert an Hoffmann, einen Mann, der von einer Frau zur anderen geht, die Damen angeblich alle liebt, aber sich auf sie nicht wirklich einlassen kann. Hoffmann nicht, weil er Künstler ist. Blaubart nicht, weil er Krieger ist, in Graz gar ein Warlord, der den legitimen Herrscher Bobêche, der schwach ist, mit seinen modernen Waffenarsenalen (Mittelstreckenraketen) erpresst.

Blaubart ist hier ein Guerillero, er trägt eine Art Che-Guevara-Kappe. Boulotte, die weibliche Heldin, erscheint als eine Carmen-Variation: Die ungenierte Schäferin ist eine blut- und glutvolle Frauensperson, sie geht jedem an die Wäsche, spricht Stoasteirisch, benimmt sich bei Hof wie das Blumenmädchen Eliza Doolittle beim noblen Ascot-Pferderennen – und stachelt im Kellergrab ihre nur vorübergehend eingeschläferten Vorgängerinnen zur Revolte gegen den Macho Blaubart auf. Elisabeth Kulman scheint ihre erdige Rolle zu genießen, sie ist höchst komisch und wunderbar, spielerisch, gesanglich sowieso. Johannes Chum als Protagonist könnte dämonischer sein, dafür erfreut sein geschmeidiger Tenor.

… Max Kaufmann und Eva Grün zeigen in comicartigen Projektionen eindrücklich Pomp und Elend der Zeit mittels Motiven der bildenden Kunst: Eleganz, Pracht – und Ruinen.

Offenbachs Musik ist ein Patchwork aus vielen Stilen, sie bewegt sich betörend, tänzelnd vom Schauerdrama zur romantischen Oper, hüpft weiter zu Polka und Walzer, gibt sich mal pathetisch, dann wieder satirisch.

Philipp Harnoncourts Inszenierung wirkt abgestimmt auf die Erfordernisse perfekter musikalischer Wiedergabe…. insgesamt gibt es in den fast dreieinhalb Stunden (mit einer Pause) kaum eine Minute der Langeweile, Ermüdung.

… Witzig sind der Alchimist (Sébastien Soulès) und der Obersthofmeister (Thomas E. Bauer). Im König Bobèche (Cornel Frey) und seiner Frau Clementine (Elisabeth von Magnus) soll Offenbach Napoleon III. und seine Gattin karikiert haben: Die zwei sind sehr skurril in ihrer Hassliebe. Er mag sie nicht, gönnt ihr aber keine Liebhaber. Man belügt und betrügt einander wie bei Feydeau.

… Gesprochen wird Deutsch, gesungen Französisch, mit Übertiteln für alles, ein großer Gewinn. „Blaubart“ war seinerzeit kein großer Erfolg, zu wenige Melodien, hieß es. Davon kann keine Rede sein. Bei der Styriarte entpuppt sich dieses Werk als eine echte Entdeckung.


der opernfreund.de (Hermann Becke), Juli 2013

Allüberwindender Humor
Der große deutsche Kunstkenner Oscar Bie hat in einer Kritik des Jahres 1929 folgendes über das Werk geschrieben:
„Und ist es nicht eigentlich doch eine hübsche Idee, die Blaubart-Sage so zu persiflieren, dass man plötzlich entdeckt, Blaubarts Frauen seien gar nicht gestorben….Und wie nett, dass Blaubart selbst zwischen der sechsten und siebten Frau steckenbleibt, weil er die siebte nicht kriegt, und weil die sechste, ein Mädchen aus dem Volk, ihn so fängt, dass alles ein glückliches Ende nimmt…. Es ist eine so drollige Mischung von Lyrik und Ironie, wie sie in keiner anderen Operette getroffen wird. Orpheus ist parodistischer, die Helena historischer, aber Blaubart ist so reizend aus beiden Elementen zusammengerührt, dass das Stück rein aus der Qualität der Weltanschauung lebensfähig bleibt… Und wie blüht auf diesem Grund die Musik. Wie lacht die Tragödie und wie ernst nimmt sich die Komödie…. Es ist nicht Oper, es ist auch nur zeitweise Parodie, es ist etwas viel Höheres: das wunderbar schillernde Reich voll von Lebenswahrheit auf der Grenze der große Schicksale und des allüberwindenden Humors.”

Eines ist jedenfalls sicher:
Nikolaus Harnoncourt und seinem Sohn Philipp Harnoncourt – zuständig für Regie, Bühne und Licht – ist es gelungen, im Sinne des Zitats von Oscar Bie das gesamte Ensemble in „allüberwindendem Humor“ zu einer Einheit zusammenzuschweißen. Das Ensemble ist an jedem Abend mit größtem Vergnügen am Werk – und das überträgt sich spürbar auf das animierte Publikum.

Philipp Harnoncourt schreibt im Programmheft: „Wir versuchen tatsächlich, Musiktheater im einfachsten Sinn des Wortes zu machen, ohne dabei von vornherein von den üblichen Spielregeln des Opernbetriebs auszugehen. Kann man vielleicht das Verhältnis von Musik und Bühne anders ausbalancieren? Kann man der Musik etwas mehr Raum geben, ohne dabei die Lust am Theater hintanzustellen? Muss es unbedingt eine konventionelle Bühne sein mitsamt einem komplett ausgeführten Bühnenbild?“

Philipp Harnoncourt hat gemeinsam mit der Kostümbildnerin Elisabeth Ashef und dem Team „Malerei und Animation“ eine ideale Darstellungsform gefunden und damit die von ihm selbst gestellten Fragen überzeugend beantwortet. Das Chamber Orchestra of Europe sitzt zentral in der Mitte, ist sichtlich mit Vergnügen hin und wieder auch in die szenischen Aktionen einbezogen; Solisten und Chor bespielen die Flächen rund um das Orchester, durch die Podien kommen sie auch nie in akustische Bedrängnis – und der wahre Mittelpunkt ist natürlich Nikolaus Harnoncourt, der mit sparsamen Gesten wie ein Puppenspieler alle Fäden zieht und zusammenhält. Diesmal gelingt Harnoncourt mit seiner Interpretation einfach alles: das Orchester spielt höchst animiert, prägnant und subtil, die bei Harnoncourt üblichen abrupten Schärfen harmonieren großartig mit zarten lyrischen Phrasen, es stellt sich französischer Esprit ein und die musikalische Spannung lässt trotz einer Aufführungslänge von dreieinhalb Stunden nie nach.

Das Ensemble führen der Titelrollen-Darsteller Johannes Chum und die Boulotte von Elisabeth Kulman an. Chum meistert mit seiner klaren Stimme die heikle Tenorpartie zwischen Rossini-Koloraturen, lyrischen und chansonhaften Phrasen sehr gut …

Elisabeth Kulman (die man zuletzt in diesem Saal mit wunderbaren Wesendonck-Liedern gehört hatte) war der absolute Höhepunkt im Ensemble. Mit immenser Spielfreude, feinem sprachlichen Gefühl sich bewegend zwischen makellos gesungenem Französisch, einem von ihr selbst entwickelten „Ost-Mittel-Steierburgenländisch“ (ihr eigene Aussage!) in den gesprochenen Dialogen bis zur perfekten Ungarisch-Parodie im Finale – aber vor allem mit einer in allen Lagen wunderbar strömenden Stimme war sie wahrhaft unübertrefflich. Sie genoss es sichtlich und hörbar, einmal nicht Fricka, Brangäne oder Orpheus zu sein. Kulman hat mit dieser Rolle eine ganz neue Facette einer bedeutenden Bühnenkünstlerin gezeigt!

Im übrigen Ensemble fällt Sébastien Soulès als zwielichtiger Alchemist Popolani mit geschmeidigem Bass und darstellerischer Beweglichkeit auf. Überhaupt agiert das gesamte Ensemble einschließlich des auch in den Soli ausgezeichneten Arnold-Schönberg-Chors (Einstudierung: Mihal Kucharko) mit spürbarer und ansteckender Freude. Es gelang eine ideale Balance zwischen Natürlichkeit und Stilisierung der Bewegung. Elisabeth von Magnus war eine scharf konturierte Reine Clémentine, Thomas E. Bauer ein vor allem in den Dialogen prägnanter Höfling – und dann waren da noch jene drei, die schon vor zehn Jahren bei der ersten Offenbach-Auseinandersetzung von Harnoncourt in Graz dabei waren („Großherzogin von Gerolstein“ in der Regie von Jürgen Flimm): Sophie Marin-Degor und Markus Schäfer als Schäfer-, nein Prinzenpaar. Beide haben seither an stimmlichem Gewicht und darstellerischer Prägnanz gewonnen. Hervorragend die Charakterstudie von Cornel Frey als König Bobêche, der vor zehn Jahren in einer kleinen Nebenrolle unauffällig geblieben war, aber nun in Spiel und Stimme ins Zentrum rückte. Und an dieser Stelle sei es ausdrücklich gesagt: dieser Blaubart ist wesentlich geschlossener und übertrifft auf allen Linien die damalige mit Gags überladene Produktion.

Zum Schluss noch ein Wort zu der von Philip Harnoncourt verantworteten deutschen Dialogfassung: Es ist legitim und richtig, den Text zu aktualisieren, war es doch auch zur Zeit der Uraufführung für das Publikum besonders reizvoll, die Anspielungen auf die Gesellschaft des damaligen französischen Kaiserreich herauszuhören – und so schmunzelt und lacht man auch heute gerne, wenn österreichische Politiker, die Globalisierung, die „Unschuldsvermutung“ und die Sponsor-Bank apostrophiert werden.

Das war ein großer Abend zeitgemäßen und höchst lebendigen Musiktheaters – das Publikum umjubelte Nikolaus Harnoncourt und Elisabeth Kulman sowie das gesamte Ensemble.


Musik & Theater, Zürich (Monika Mertl), September 2013

Der diskrete Charme der Satire
Styriarte: Jacques Offenbachs «Barbe-Bleue" in der Interpretation von Vater und Sohn Harnoncourt
Das erlebt man nicht allzu oft: Nikolaus („Ich grinse nie“) Harnoncourt steht mit verschmitztem Lächeln am Pult und gibt die Einsätze so locker und entspannt, als ginge es hier lediglich um sein Privatvergnügen. In gewisser Hinsicht ist es das auch. Denn mit der Aufführung des „Barbe-Bleue“, jener Opéra bouffe aus dem Jahr 1866, von der naturgemäß, möchte man sagen , keine vertrauenswürdige Fassung und bis heute keine adäquate Aufnahme existiert, hat er für sich selber das Missing Link zwischen „La Belle Helene“ (1864) und „La Grande-Duchesse de Gerolstein“ (1867) erforscht und dabei in gewohnt akribischer Vorarbeit eine von Esprit funkelnde Satire zutage gefördert, die den populäreren Werken bezüglich orchestraler Feinmechanik und tänzerischem Schwung in nichts nachsteht.

Das Chamber Orchestra of Europe, nicht mehr als 38 Spieler stark, entfaltet den Charme dieser prägnanten und dabei so vielschichtigen Partitur in allen Facetten und entwickelt eine überaus „beredte“ Klangkulisse, in der die Stimmungen fortwährend kippen. Die „infernalische Komik dieses Stücks“ (Harnoncourt), das nur vordergründig vom Frauenmörder Blaubart, hauptsachlich aber von der Blödheit der herrschenden Klasse handelt, gelangt so zu sicherer Wirkung.

Mit dem inspirierenden Klangraum korrespondiert der betont einfache, ganz auf Imagination setzende szenische Raum, den Philipp Harnoncourt für die Helmut-List-Halle entworfen hat. Die Dekoration entsteht mithilfe von Licht und Animationen (Max Kaufmann), die mit den überraschenden Stimmungswechseln der Musik mühelos Schritt halten können und schaurig-witzige Effekte auf die blanken Kulissenwände zaubern.

Von Philipp Harnoncourt stammt auch die leicht zugespitzte deutsche Dialogfassung, die Offenbachs spöttisches Sittenbild des Second Empire in unsere Zeit transferiert, obwohl sie sich mit aktuellen Anspielungen wohltuend zurückhält. Dass die als „Zigeuner“ verkleideten Opfer, die Blaubart und dem König im dritten Akt gefährlich auf die Pelle rücken, an die aus der Grazer Altstadt vertrauten Bettler erinnern, ist die stärkste Konkretisierung, die der Regisseur und seine Kostümbildnerin Elisabeth Ahsef vornehmen. Im übrigen ist ganz unaufgeregt die Rede von „Unschuldsvermutung“ und steuerfreien Einkünften, und dass beim Defilee der Honoratioren vor dem König auch ein gewisser Nikolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt antritt, ist ein sicherer Lacher.

Maximaler Freiraum also für die Protagonisten , die ganz ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und dies mit überbordender Spiellaune nutzen. Unangefochten im Mittelpunkt steht Elisabeth Kulman als Boulotte – in der „Primadonnenrolle“, die Offenbach für Hortense Schneider schrieb. Kulman gestaltet diese „Rubensfigur“ mit herrlicher, in allen Lagen wohlgerundeter Stimme und schöner Natürlichkeit, zeigt Mut zu überbreiten Hüften und, in den Dialogen, zu breitem burgenländischem Dialekt, ohne jemals ordinär zu wirken oder die Figur als bloßen Trampel zu denunzieren: eine in erotischen Belangen selbstbewusste, gutmütige Frau, die aus ihrem großen Herzen keine Sekunde lang eine Mördergrube macht – das exakte Gegenteil des rätselhaften, in seiner genuinen Bösartigkeit faszinierenden Blaubart, den der mit Che Guevara-Vollbart nahezu unkenntliche Johannes Chum mit betörenden Kantilenen und einer schelmische n Leichtigkeit ausstattet. Zwei Bühnengestalten, die einander perfekt ergänzen und am Ende, bar jeder psychologischen Grundlage, das logische Paar bilden .

Mit Psychologie darf man sich bei diesem Stück ohnehin nicht aufhalten, dafür umso mehr mit der präzisen Charakterisierung der Personen, die Philipp Harnoncourt mit allen Mitwirkenden inklusive der vorzüglichen Solisten aus dem Arnold Schönberg Chor – genau erarbeitet hat. Vor allem die Hofgesellschaft ist wirklich gut getroffen. Vom trotteligen König Bobeche, den Cornel Frey als sanfte Karikatur des „guten Kaisers Franz“ auf die Bühne stellt, und der aufgedonnerten Königin Clementine – Elisabeth von Magnus genießt es sichtlich, die Society-Schnepfe zu mimen - bis zum zwielichtigen Grafen Oscar, den Thomas E. Bauer als typischen Wendehals-Politiker zeichnet, und Blaubarts schmierigem Handlanger mit dem vielsagenden Namen Popolani, der bei Sébastien Soulès bestens aufgehoben ist: Sie alle sind in ihren Figuren mit jener Sicherheit zu Hause, die in den Dialogen auch Improvisation zulässt.


Der neue Merker (Ernst Kopica)

Offenbachs Operette „Barbe-Bleue“ gegen den Strich gebürstet
Wunderbare Szenenbilder
…für das Libretto sorgten einst keine Geringeren als Henri Meilhac und Ludovic Halévy, die (deutsche) Dialogfassung für Graz (gesungen wird hier in der französischen Originalsprache) stammt von Philipp Harnoncourt, der auch für die Inszenierung verantwortlich zeichnete (Kostüme Elisabeth Ahsef). Wobei die Regiearbeit im Programmheft als „halbszenisch“ bezeichnet wird, da in der Helmut-List-Halle kein richtiges Bühnenbild möglich ist. Allerdings ist das in diesem Fall eine Untertreibung, denn mit stimmigen und witzigen Hintergrundprojektionen, die an Verfilmungen von Comic-Strips erinnern, ergaben sich wunderbare Szenenbilder. Die Sänger agieren rund ums Orchester, bei den Sprech-Dialogen ging man bewusst auch einen improvisatorischen Weg, kein Wunder bei einer begrenzten Probenzeit von nur 10 Tagen!

… Otto Schneidereit formulierte 1966 in seiner knappen Offenbach-Biographie, dass „der Blaubart sein eigentümlichstes, wohl großartigstes und jahrzehntelang missverstandenes Werk“ sei, „beinahe schon keine Operette mehr, sondern über die Grenzen dieser Kunstgattung in neue Bereiche vorstoßend!“ Die beißende Satire auf den Hof Napoleon III. wurde von Offenbach verwoben mit der Story des Ritter Blaubarts, der seine Ehefrauen ermorden ließ. Der König Bobèche (wie er bei Offenbach genannt wird) und der Ritter Blaubart (hier als eine Art Warlord mit eigener Armee dargestellt) ähneln sich, der eine ließ die vermeintlichen Liebhaber seiner Frau, der andere seine Ehefrauen ermorden. Bei aller Blutrünstigkeit des Plots ist dieses Stück aber beste Unterhaltung, denn Offenbach verwendet alle Klischees, die es zu seiner Zeit für Opernaufführungen gab, so genial, dass man aus dem Lachen nicht mehr raus kommt. Ein Witz und Humor, der im Filmgenre von den Marx-Brothers (z.B. A Night at the Opera) oder Monty Python gepflogen wurde.

Interessant ist auch die Aufteilung der Singstimmen: Der König wird nicht, wie sonst üblich, von einem profunden Bass, sondern von einem Charaktertenor gesungen. Wobei gesungen fast übertrieben ist, denn meist handelt es sich um Sprechgesang, was die Lächerlichkeit des einfältigen Herrschers noch mehr herausstreicht. Und auch der „Bösewicht“ Blaubart besitzt keine tiefe Stimme, sondern wurde für einen leichten Rossini-Tenor geschrieben. Was am Ende auch zur Folge hat, dass das Bauernmädchen Boulotte (auch sie ist kein glockenheller Sopran, sondern ein tiefer Mezzo) weiterhin Blaubarts Frau bleibt, denn er singt ja soooo schön. Im Hintergrund ziehen der Alchimist Popolani, der bei Blaubart unter Vertrag steht, und der Minister Graf Oscar die Fäden. Dazu gibt es noch eine als Kind weggelegte Prinzessin und ihren Liebhaber. Der ist aber in Wirklichkeit auch kein Schäfer, wie im Eröffnungsduett zu vermuten ist, sondern Prinz Saphir, auch wenn er von Markus Schäfer gesungen wird. Viel interessanter als der tatsächliche Handlungsstrang sind aber all die Anspielungen und Persiflagen, die den Abend trotz der Länge von 3 Stunden 20 Minuten zu einer kurzweiligen Unterhaltung machten.

Und gespielt wurde vom gesamten Team mit vollem Enthusiasmus. Harnoncourt fand von Beginn an mit dem Chamber Orchestra of Europe den perfekten Offenbach-Duktus. Im Mittelpunkt der Solisten stand natürlich Elisabeth Kulman, die in ihren Dialogen einen interessanten steirisch-burgenländisch-wienerischen Dialekt auspackte. Die sonst eher in hochdramatischen Rollen auf der Bühne agierende Mezzosopranistin bewies als das resolute Bauernmädchen Boulotte, dass ihr die Schuhe der berühmten Hortense Schneider (die unvergleichliche Diva sang im 19. Jahrhundert diese Rolle in Paris) nicht zu groß waren! Erstaunlich wie sich Kulmans Stimme trotz Fricka und Co. Geschmeidigkeit und Frische bewahrt hatte. Positiv überrascht wurde ich von Johannes Chum in der Titelrolle. Der Steirer verfügt über eine flexible, lyrische Tenorstimme ohne Höhenprobleme. Ein ganz spezielles Bravo für Sébastien Soulès: Der Bassbariton konnte mit der dankbaren Rolle des Popolani voll punkten, da ihm diese Tessitura ideal liegt und er seine körperliche Fitness dabei voll ausspielte.

Ein Extra-Vorhang für den Arnold Schoenberg Chor, der nicht nur alle Massenszenen zu einem Erlebnis machte, sondern aus dessen Reihe auch einige Soloparts besetzt wurden. So waren die fünf ermordeten Frauen Blaubarts in der (besonders gut gelungenen) Kerkerszene fünf Chorsängerinnen anvertraut, die ihre Sache so perfekt machten, dass sie hier genannt sein sollen: Shirin Asgari, Kathryn Humphries, Birgit Völker, Irena Krsteska und Carmen Wiederstein. Noch ein Wort zum Thema Sponsoren und Finanzierung von Festspielen: Dass der Sponsor einer Aufführung im Textbuch vorkommt, ist wohl nicht häufig der Fall, wurde aber hier so geschickt gemacht, dass man darüber „Raiffeisen“ gar nicht böse sein konnte.

Jubel für das komplette Team!


Austria Presse Agentur (apa)

“Ritter Blaubart” siegte mit Witz in Wort und Musik
“Ritter Blaubart” setzte in der Helmut-List-Halle nicht auf Bühnenbild sondern auf Animationen. Zurecht. Die Inszenierung ist gelungen.

Zwischen ausgelassener Musik, heiter-energischen Figuren und ironischem Augenzwinkern hat sich die Geschichte um “Ritter Blaubart” am Samstagabend bei der “styriarte” vollzogen und das Publikum begeistert. Gelungen waren die Animationen, die das Bühnenbild mehr als ersetzten, ausgezeichnet auch die Sänger.

… Die Umsetzung gelang jedenfalls mit teilweise ungewöhnlichen Mitteln sehr gut. Ausgehend von den praktisch nicht vorhandenen technischen Möglichkeiten in der Helmut-List-Halle, entschied man sich für Animationen statt eines Bühnenbildes, was aber weit stimmungsvoller und ansprechender war als viele “große” Lösungen. Ansonsten tummelten sich alle froh und sichtlich vergnügt in diesem Ambiente herum, die Regie von Philipp Harnoncourt – der auch für die Bühne und das Licht verantwortlich zeichnet – bleibt folgerichtig am Boden des leicht fasslichen Witzes und so fügt sich alles zu einem bunten Reigen aus hübschen Melodien und witzigen Seitenhieben gegen die Verlogenheit der Gesellschaft.

Von zuckersüßer Lieblichkeit bis zu hohlem Pathos gibt es viele Schattierungen, die auftauchen und verschwinden, bevor man manches richtig fassen kann. Obwohl Johannes Chum ein ausgezeichnet singender und spielender Ritter Blaubart war, stand doch Elisabeth Kulman (Boulotte) im Mittelpunkt der Aufführung. Sie durfte diesmal eine wirklich komische Seite zeigen und überzeugte nicht nur mit gesanglicher Größe, sondern auch mit gekonnt im Dialekt gesprochenen Dialogen und unglaublicher Bewegungsfreude.

Sophie Marin-Degor war eine quirlige, keineswegs sanftmütige Fleurette, die ihrem Prinzen Saphir (Markus Schäfer) von Anfang an klarmachte, wer hier das Sagen hat. Wohltönend und gleichzeitig königlich wie praktisch war die Clementine von Elisabeth von Magnus, Sebastién Soulès (Popolani) und Thomas E. Bauer (le comte Oscar) ergänzten das ausgezeichnete Ensemble ebenso wie der Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner.


opernnetz.de (Helmut Christian Meyer)

Der lustige Witwer
Ich bin Blaubart, hollero! Nie war ein Witwer so lustig und froh: Dieses Auftrittslied, das auch das fröhliche Finale begleitet, nimmt Philipp Harnoncourt als Devise seiner gesamten Inszenierung - von einer semiszenischen Produktion, wie das im Programmheft steht, kann wohl keine Rede mehr sein, wenn man die permanente, strotzende Lebendigkeit auf der Bühne der Helmut-List-Halle in Graz wahrnimmt. Der Sohn des Dirigenten hat auch eine neue, deutsche Dialogfassung mit unzähligen, aktuellen Anspielungen und Witzen verfasst, bei denen selbst der Dirigent nicht verschont wird. Auf der Bühne erlebt man jedenfalls in ziemlich haarsträubenden Kostümen von Elisabeth Ahsef eine Menge Slapsticks und lustige Einfälle: Manchmal etwas grenzwertig, aber meist noch in der Balance zwischen unterhaltsamer Blödelei und geistreicher Satire. Da die Konzerthalle über keine technischen Möglichkeiten zur Installierung eines Bühnenbildes verfügt, muss mit einer Holzwand mit länglichen Öffnungen das Auslangen gefunden werden. Diese wird jedoch mit Video-Projektionen, die an gezeichnete Comic-Strips erinnern und die die Örtlichkeiten näher anzeigen, gekonnt aufgemotzt.

Sichtlich mordsmäßigen Spaß an der Sache hat das gesamte, in einem derben französischen Dialekt singende Ensemble: Allen voran Elisabeth Kulman, deren schlanke Kurven mit Pölsterchen ausstaffiert werden mussten, um annähernd einer wie im Text angeführten Rubens-Figur zu ähneln. Die österreichische Mezzosopranistin, die derzeit sonst im eher hochdramatischen Fach beschäftigt ist, darf als resolute, rustikale Landpomeranze in einem breiten burgenländisch-steirischen Dialekt mit derben Gesten so richtig die Sau raus lassen und herumblödeln. Sie singt die Boulette, die normalerweise mit einem Sopran besetzt wird, kraftvoll, mit mühelosen Höhen, wunderbarer Phrasierung und ungemeiner Flexibilität. Johannes Chum, der in seinem Outfit mit seiner Uniform, seinem ungepflegten Rauschebart und dem Barett wie eine Mixtur aus Che Guevara und einem südamerikanischen Freischärler aussieht, singt den Titelhelden stimmgewaltig, mit klarem, feinen lyrischen Tenor ohne die geringsten Höhenprobleme. Der mit kleinsten Schritten herumtrippelnde und komisch herumgestikulierende Cornel Frey ist als König Bobèche eine Parodieklasse für sich. Sophie Marin-Degor ist eine feine, saubere Fleurette/Hermia, die, kaum als verschollene Königstochter erkannt, flugs von der sanften Schäferin zur herrschsüchtigen, jungen Prinzessin mutiert. Markus Schäfer ist ein hell klingender, strahlender Prinz Saphir. Ideal besetzt ist auch Sébastien Soulès als urkomischer Popolani, der von allen nur „Popo“ genannt wird, der auch einen langen, schweißtreibenden Standdauerlauf herrlich komisch absolvieren muss.

Das Publikum bejubelt das Werk, das zu unrecht so wenig aufgeführt wird, und seine Realisierung voller Begeisterung.


Der neue Merker ( Margit Schlösser)

Jacques Offenbach und seine Autoren Halévy und Meilhac haben die Erzählung vorn Ritter Blaubart in eine gnadenlose Persiflage auf die lockeren Sitten im Zweiten Kaiserreich verwandelt. Herr von Blaubart ist ein unersättlicher Frauenfreund, der seiner Ehefrauen schnell überdrüssig wird und sie der Reihe nach beseitigen lässt. König Bobeche entledigt sich auch schnell der Männer, die wagen, seiner Gemahlin zu nahe zu kommen. Freilich sind die scheinbar Ermordeten wohlauf und feiern am Ende eine seltsame Massenhochzeit. Herr von Blaubart aber steuert auf eine turbulente Ehe rnit der resoluten Bäuerin Boulotte hin, die ihn mir ihren Parolen das Fürchten lehrt.

“Ich finde, der Blaubart ist nicht einfach ein grausames Stück, sondern er ist ein ganz fantastisches tiefenpsychologisches Stück, denn hinter den faktischen Begebenheiten liegt ja eine infernalische Komik. Und die Menschen wollen das Infernalische erleben, das ist wie heute beim Josef Hader. Wir finden Anklänge davon ach in der „Fledermaus“, zum Beispiel, wenn die Grundeigenschaften des Menschen auf eine drastische, ich finde fantastische Weise bloßgestellt werden. Gut, wer absolut nicht in den Spiegel schauen will, dem wird das ncht gefallen. Aber wir schauen ja alle gern in den Spiegel.“

… Für Regie, Bühne und Licht sorgte Philipp Harnoncourt. Für seine humorige Inszenierung schuf er eine Wand mit fünf Türen, die eine ideale Projektionsfläche für die Videoprojektionen von Max Kaufmann und Eva Grün bildete und das Bühnenbild beliebig verändern konnte.

… Stimmlich glänzte Elisabeth Kulman sowohl in den derben lustigen so wie auch in den ängstlichen Szenen. Johannes Chum als Ritter Blaubart war ein adäquater Partner, eine Mischung aus Che Guevara und Frauenheld. Er singt den Titelhelden stimmgewaltig mit schön geführtem lyrischen Tenor. Fröhlich spielten und sangen Sophie Marin-Degor und Markus Schäfer ihre Rollen Fleurette/Hermia und Prinz Saphir. Sebastién Soulès spielte humorvoll den erfindungsreichen Popolani und Thomas E. Bauer den förmlichen Grafen Oscar. Cornel Frey gestaltet den schrulligen König Bobeche und Elisabeth von Magnus seine unglückliche Gattin Clementine. Großartig war wie immer der Arnold Schönberg Chor.

Verdienter Jubel für die gelungene Produktion.


drehpunktkultur.at (Reinhard Kriechbaum), 24. 6. 2013

… Die Särge in beider Herren Keller sind also gut belegt – freilich mit Untoten, denn wir sind schließlich nicht in Bartoks schwülern Symbolismus-Musiktheater, sondern bewegen uns im leichten Tanzschritt einer glutvollen Pariser Operette.

… Wie nahe Offenbach und Johann Strauß einander doch stehen - aber noch viel ergiebiger ist Harnoncourts ur-musikalische Analyse der Tanzpatterns deshalb, weil sich so etwas wie eine multilaterale Tanz-Geographie ergibt, mit mancher Pariser Importware aus Osteuropa… Der duftige Tonfall dort, wo andere es bei Offenbach vorlaut rasseln lassen, nimmt schon in der Ouverture augenblicklich für sich ein. Natürlich: Martialisch geht es auch zu, nachgerade unheimlich im dritten Akt, wenn wir uns zwischen den Särgen der vermeintlich toten Ehefrauen wiederfinden und Herzdame Nummer sechs, Boulotte alias Elisabeth Kulman , eine unerschrockene Männer-Eroberin mit „stoasteirischern" Slang, kurzzeitig sogar wirklich glauben muss, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Da macht Harnoncourt und macht vor allem diese begnadete Mezzosopranistin deutlich, wie raffiniert Jacques Offenbach an der Grenze zwischen leichter Muse und Oper – gibt es eigentlich wirklich einen Unterschied? – lavierte. Feine Brechungen der Stimmung und gleich wieder pointierte Ironie: Die Ohren werden dreieinhalb (!) Stunden lang gefesselt.

Auch das Auge bekommt zu tun, vor allem wegen des Bühnenbilds, das Regisseur Philipp Harnoncourt selbst designt hat. Nichts als eine Holzwand mit fünf hohen, schmalen Durchlassen. Darauf kommen Projektionen und teils bewegte Bilder, die anmuten wie Collagen. Sonst kommt man auf der seitlich des Orchesters vorgezogenen Buhne mit ganz wenigen Versatzstücken aus. So deftig da auf der Bühne parodiert und ironisiert wird die Musik Offenbachs trägt und verbindet das alles. Elisabeth Kulman fühlt sich sichtlich wohl… herrlich jedenfalls, wie sie über die Buhne fegt und bei allem Temperament ihre bestens fokussierte Stimme immer kontrolliert, in bester klanglicher Ausgewogenheit zum Orchester einsetzt. Da wird nicht nur eine Sängerin "begleitet", das ist vokal- instrumentale Kammermusik vom Feinsten – im szenischen Sauseschritt.

Bestens gecastet das sängerische Umfeld. Der extrem fließende Tenor von Johannes Chum… Sebastian Soulès ist der Alchemist Popolani (dienstbarer Geist von Blaubart bei Zuführung und Entsorgung der Gesponse), Thomas E. Bauer der Kollege von der Gegenseite, Le comte Oscar – beide sind nicht bloß "lustige" Figuren, sondern auch Menschen.


Evolver (Herbert Hiess), 8. 7 2013

In der Grazer List-Halle demonstrierten Vater und Sohn Harnoncourt, wie man Offenbach vom Cancan-Kitsch befreien und mit einem erlesenen Ensemble zum Leben erwecken kann. Selten sind dem EVOLVER-Klassikexperten dreieinhalb Stunden so kurz vorgekommen.

In dieser Produktion verkörperte Elisabeth Kulman großartig das "bauerntrampelhafte" Wesen. Da die Dialoge hier auf deutsch gesprochen wurden, konnte die exzellente Sängerin im heftigsten "Stoasteirisch" brillieren . Ihre Musiknummern wurden von ihrem edlen Mezzo getragen, bei dem man nicht nur einmal die "Carmen" durchhören konnte . Die Sängerin wäre eine Empfehlung auch für österreichische Opernhäuser - und nicht nur in Hamburg, wo sie die Rolle bereits gesungen hat.

Auch die anderen Sänger standen ihr um nichts nach; allen voran Johannes Chum, der Steirer aus Vorau als Blaubart selbst. Mit seinem brillanten Tenor war er Kulmans idealer musikalischer Partner. Ebenso großartig sangen und spielten Sophie Marin- Degor als Fleurette und Markus Schäfer als Prinz Saphir.

Harnoncourts Sohn Philipp hat schon oft mit seinem Vater zusammengearbeitet und verkauft die Grazer Produktionen immer als "halbszenisch". Das ist reine Untertreibung - es war schlicht genial, wie er Licht und heuer vor allem Videos auf der einfach gehaltenen Bühne in der ehemaligen Industriehalle einsetzte. Pointenreiche Dialoge, beeindruckende Personenführung und viele kabarettistische Einlagen rundeten die Aufführung ab.


Radio SRF

Unverschämt und rotzfrech
Was für eine unverschämte Geschichte. Renitente Frauen, Totgeglaubte erheben ihre Stimme, entsteigen ihren Särgen und fordern Spaß und Sex, wahrend Könige und Ritter in der Oberwelt bereits ziemlich vertrottelt und saft- und kraftlos sind. So etwas vermag nur die Operette. Sie dreht die Welt ganz einfach auf den Kopf und spielt kokett und unverfroren einmal durch, was wäre wenn.

An der Oberfläche wird gesungen, getanzt und gelacht. Darunter aber werde n die Machthaber, die feine Gesellschaft, das Militär und die Politik erbarmungslos durch den Kakao gezogen.

Der Chor der Höflinge, die, aufgezogen wie Marionetten, das Bücken üben. Der Haushofmeister misst mit dem Zollstock nach. Dazu eine aufgeblasene, ziemlich hohle Musik, die sich ständig wiederholt.

Im „Barbe-Bleue“ schreibt Offenbach einen Kusswalzer. Ein umwerfendes Stück Musik, ein Walzer, wo der ganze Chor der Hofschranzen die Lippen spitzen und präzis auf den zweiten und dritten Schlag einen Schmatzer platzieren muss.

Natürlich verspotten die beiden genialen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy auch hier wieder den Hof, den Kaiser und das Militär. Aber eben auch den Rest der Welt: das Schöne, das Echte, die Liebe und die Ehe. Nicht nur dass „Ritter Blaubart“ im Halbstundentakt heiratet, am Ende der „Opera bouffe“ wird gar eine Massenhochzeit veranstalte! „Sieben Damen und sieben Herren ... jeder kriegt genau eine, nicht mehr und Idee. Wie originell und zugleich moralisch!“

„Die Leichen im Keller! Jeder hat welche“, sagt Nikolaus Harnoncourt. Blickt mich an und sagt: „Sie auch!“. „Sie auch?“ frage ich zurück . Er: „Ja klar, aber viel schöner ist doch, auf die Leichen der andern zu zeigen. Und zu sehen, was der Nachbar für ein Schwein ist.“


Die Frau.at (KWH )

Steirisch mit einem Schuss Savoir-Mourir
Il est Barbe-Bleue! O gué!
Jamais veuf ne fut plus gai!
Da ist Blaubart, hollero,
Nie war ein Witwer so lustig und froh!

Als Satire auf die lockeren Sitten brachte Jacques Offenbach den „Barbe-Bleu“ erstmals 1866 in Paris auf die Bühne. Er und sein Autorenduo Meilhac-Halévy hatten das Märchen vom Ritter Blaubart in eine gnadenlose Satire auf die lockeren Sitten des Zweiten Kaiserreichs verwandelt.

Blaubart (Johannes Chum), der alte Schwerenöter, kann von Frauen nicht genug bekommen und tötet eine nach der anderen… der König Bobèche (Cornel Frey) hingegen tötet sämtliche Männer, die sich seiner Königin (Elisabeth von Magnus) auch nur nähern.

Kurz – es geht drunter und drüber. Die scheinbar Ermordeten sind quicklebendig und feiern am Ende eine Massenhochzeit. Der Ritter selbst findet letztlich ebenfalls seine Meisterin in der Bäuerin Boulotte (Elisabeth Kulman). Man ist geneigt sich zu fragen, ob diese Frau überhaupt zurechnungsfähig ist: Er will sie ermorden lassen, um eine andere zu ehelichen. Sie, knapp dem Tode entronnen, phantasiert von seiner Stimme und davon, dass er doch ein toller Hecht ist, um ihn am Ende ein zweites Mal zu heiraten.

Obwohl der Hintergrund voll an menschlichen und zwischenmenschlichen Tragödien ist, finden wir uns inmitten einer Opéra-bouffe mit einer komischen Geschichte wieder, bei der einem das Lachen manchmal im Halse stecken bleibt.

Neue Wege – bei „Ritter Blaubart“ handelt es sich um eine halbszenische Aufführung, bei der die Bühnenbilder durch Animationen ersetzt werden, erklärte Regisseur Philipp Harnoncourt, der auch für Bühne und Licht verantwortlich zeichnet, im Vorfeld der Premiere. In diesem Falle darf man sich das so vorstellen, dass Max Kaufmann und sein Team Skizzen des Regisseurs in Ölbilder und dann in Animationen umwandelten. Wie sich am Premierenabend herausstellte, eine geniale Idee!

Nachdem wir aktuell eine oststeirische Eliza Doolittle in My Fair Lady an der Grazer Oper erleben dürfen, scheint auch Boulotte aus dieser Region zu stammen. In dieser Inszenierung finden die Roma aus Hostice bzw. aus der Herrengasse, genauso Eingang, wie die Raiffeisenlandesbank und die Herren Sinowatz und Kreisky. Auf der Gästeliste des Hofempfanges taucht ein gewisser Nikolaus d’Hanoncourt de la Fontaine Unverzagt auf, was der König mit: „Steirischer Landadel!“ quittiert und schließlich ersucht Bobèche auch noch den „Maestro Unverdrossen“, er möge dem Chamber Orchestra befehlen, ein Lied zu spielen. Am Ende stehen sich Ritter Blaubart und Boulotte als Brautpaar in Erzherzog Johann und Anna Plochl Aufmachung gegenüber. „Wo i geh`und steh`…“

Die Familie Harnoncourt beweist charmant Sinn für Humor, was diese Inszenierung noch sympathischer macht, als sie ohnehin schon ist.

Das größte Kompliment, das wir vergeben können, kommt von unserem Nachwuchsredakteur Laurenz (7). Dieser ist dafür bekannt, dass er die „Letztes Drittel Hürde“ nicht überwindet. Egal ob am Londoner West-End oder in der Wiener Staatsoper: Im letzten Drittel einer jeden Aufführung übermannt ihn die Müdigkeit. Vom Orchester ins Land der Träume begleitet schläft er ein, um am nächsten Morgen zu fragen, was am Ende noch passiert sei. Obwohl die Styriarte Inszenierung von 19h30 bis ca. 23h00 dauerte, stand die Schlaf-Fee diesmal auf verlorenem Posten: Zu spannend war die Geschichte, zu lustig so manche Szenen, zu schön die Musik und der Gesang und zu viel „Action“ war auf der Bühne.

Dem können wir nichts mehr hinzufügen außer: Bravo!